Arbeit

Betriebsrätekonferenz zu „Entlastung mitbestimmen“

 

 

Am 9. März fand in Frankfurt eine Betriebsrätekonferenz mit dem Titel „Entlastung mitbestimmen! Handlungsmöglichkeiten der betrieblichen Interessensvertretung im Sozial- und Gesundheitswesen“ statt . Eingeladen hatte die Gewerkschaft ver.di.

 

 

Der Aufbau war im Prinzip nicht schlecht gestaltet. Es gab einen anfänglichen Input in Form von kleineren Vorträgen. Später wurde dann Gruppen gebildet, in denen auf speziellere Fragestellungen eingegangen wurden. Diese Gruppen wurden jeweils von sehr guten Referenten geleitet. Aber warum dann also nur im Prinzip? Es zeigte sich dann doch mal wieder, dass die Behindertenhilfe zum einen nur ein kleiner Bereich innerhalb des Fachbereiches ist. Auch ist der Organisationsgrad in vielen Einrichtungen nicht so hoch. Daraus ergab sich, dass die meisten Teilnehmer*innen aus dem Bereich der Altenpflege und Krankenhäuser kamen. Zwar zeigte sich, dass diese Bereiche vielleicht auch die gleichen oder ähnlichen Probleme haben, doch die Lösungsansätze waren für mich dann stellenweise an unserer Realität etwas vorbei. Natürlich ist auch mir klar, dass man nach dem Betriebsverfassungsgesetz beim Thema Dienstplan die volle Mitbestimmung hat. Soweit die Theorie. Oftmals hängt es aber doch an einer mangelnden personellen Ausstattung, warum es dann zu den Problemen kommt. Und hier hat ein Betriebsrat in einem Großkonzern, der womöglich noch nach Gewinnmaximierung strebt, andere Ansatzpunkte.

 

Als zweiten Aspekt wurden von dem Veranstalter die Vernetzung und der Austausch hervorgehoben, die solche Veranstaltungen mit sich bringen. Dies ist sicherlich eine gute Sache und auch ich finde dies immer befruchtend und ein wichtiges Element in unserer Arbeit. Hierbei war natürlich wieder dasselbe Problem der Unterrepräsentiertheit der Behindertenhilfe wie bereits vorher erwähnt. Zwar ist es immer gut, auch mal über den Tellerrand zu schauen, aber der konkrete fachliche Austausch konnte so nur eingeschränkt stattfinden. Und es zeigt sich dabei, dass wir zumindest in Hessen zum Thema Vernetzung und Austausch durch den AKAB in der Behindertenhilfe sehr gut aufgestellt sind.

 

Aber wer weiß was die Zukunft bringt. Durch das BTHG und deren Umsetzung wird es vermutlich Veränderungen geben. Da wird dann vielleicht doch irgendwann die branchenübergreifende Vernetzung wichtiger, auch weil es vielleicht gar keine andere Branche mehr ist. Wie viele soziale Großkonzerne werden auch die Behindertenhilfe als Markt entdecken (außer denen die es jetzt schon gibt)? Und es gibt noch viel mehr Fragen (…). Es wird auf jeden Fall spannend und wir müssen dran bleiben.

 

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Auf Interessenvertretungen wartet noch mehr Arbeit

 

Ver.di Tagung zum Bundesteilhabegesetz stößt weitere Diskussionen an

 

Die Fachtagung am 26. September in Hamburg zeigte ganz deutlich: Es gibt ein ganz großes Informationsbedürfnis bei Betriebsräten und Mitarbeitervertretungen und es gibt logischerweise kaum Praxisbeispiele, die direkt dem BTHG zuzuordnen sind.

 

Detlev Blitz, einer der vier Referenten, formulierte als Hauptthese: Ohne die UN-Behindertenkonvention und v.a. eines von der UN autorisierten Ausschusses zur Beurteilung der politischen und gesellschaftlichen Situation der Menschen mit Handicap in jedem Mitgliedsstaat gebe es kein BTHG. An die BRD ergingen 67 Handlungsempfehlungen! So äußerte sich der Ausschuss in seinem Abschlussbericht u. a. „besorgt über den hohen Grad der Institutionalisierung und den Mangel an alternativen Wohnformen, (…) über den Umstand, dass segregierte Werkstätten für behinderte Menschen weder auf den Übergang zum allgemeinen Arbeitsmarkt vorbereiten noch diesen Übergang fördern“. Des Weiteren: (…) dass der Großteil der SchülerInnen mit Behinderungen gesonderte Förderschulen besucht (…)“.

 

Betrachtet man sich die Handlungsempfehlungen, ist spürbar, welche ungeheure Dynamik in dem Begriff „Systemwechsel“ steckt, wie Arbeitsbedingungen und Tätigkeitsfelder sich perspektivisch verändern werden. „Der Ausschuss empfiehlt dem Vertragsstaat, wirksam einen inklusiven, mit dem Übereinkommen in Einklang stehenden Arbeitsmarkt zu schaffen, durch (…) <u.a.> die schrittweise Abschaffung der Werkstätten für behinderte Menschen (…)“.

 

Zu erwarten sind in den nächsten Jahren langsame, schleichende Prozesse. Dies schließt mit ein, dass sich punktuell in Teil-Bereichen große Veränderungen im Arbeitsalltag vollziehen können. So ist davon auszugehen, dass die Zahl der Menschen mit geistigem Handicap tendenziell abnimmt, die mit einer psychischen Erkrankung weiter zunehmen wird. Werkstätten haben sich dieser Entwicklung anzupassen, was v. a. die (weitere) Qualifizierung des Personals und die Arbeitsplatzgestaltung betrifft. Vermutlich gilt es betriebsintegrierte Beschäftigungsverhältnisse massiv auszubauen und Dienstleistungs-Arbeitsangebote zu erweitern. Vermutet werden darf, das Einrichtungsträger der Behindertenhilfe unterschiedlich gut auf diese Veränderungsprozesse vorbereitet sind.

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Schatten der Flexibilisierung

 

 

Die Arbeitszeit selbst gestalten können und damit eine Balance zwischen dem Privat- und Berufsleben zu finden, ist für viele ein Traum. Doch ist dies alles so paradiesisch? Eigentlich heißt es ja schon, wenn der Beschäftigte mehr Einfluss auf Arbeitsinhalte und Arbeitszeiten nehmen kann, fühlt er sich wohler und die psychische Gefährdung wird geringer. Doch wo liegt die Grenze?

 

Die Hans-Böckler-Stiftung hat sich dieser Frage angenommen und zeigt die Schattenseiten auf. Es ging hier um die Frage, wie gut man abends von der Arbeit abschalten kann. Die Forscher fanden heraus, dass Home-Office-Nutzer nach der Arbeit schwerer abschalten können als Beschäftigte, die in die Firma gehen. Als Ursache vermuten die Forscher hier, dass die Grenzen zwischen dem Arbeits- und Privatleben in dieser Konstellation nicht mehr klar sind.

 

Am besten abschalten konnte der Personenkreis, der feste Arbeitszeiten hat. Hier waren es 26 %. Aber schon bei der sogenannten Gleitzeit steigt der Wert auf fast 30%. Bei den völlig selbstbestimmten Arbeitszeiten gaben dann schon 35 % an, hier ein Problem zu haben. Getoppt wurde dies noch durch Arbeitszeiten, die vom Arbeitgeber aus kurzfristig geändert werden. Hier gaben 37 % der Befragten an, abends von der Arbeit schwer abschalten zu können.

 

Es zeigt sich: Je freier die Arbeitszeit wählbar ist, desto schwieriger fällt es, von der Arbeit abends abschalten zu können.

 

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Tagung Behindertenhilfe

Krank durch Arbeit?!         Das Bundesteilhabegesetz - und nun?!

Pressemitteilung

 

Wie sehr die Themen „Krank durch Arbeit?!“ und Auswirkungen des Bundesteilhabegesetzes auf die Arbeitsbedingungen Betriebsräten und Mitarbeitervertretungen unter den Nägeln brennen, zeigte eindrucksvoll die Tagung der Gewerkschaft ver.di am 19. und 20. September in Dortmund.

 

Beide Tage wurden mit wissenschaftlich fundierten Vorträgen eröffnet, die für die 90 TeilnehmerInnen die Diskussionsgrundlage in den Praxisforen bildeten.

 

Studien von Dr. med. Lotte Habermann-Horstmeier, Leiterin des Villingen Institute of Public Health der Steinbeis-Hochschule Berlin, haben äußerst bemerkenswerte Ergebnisse hervorgebracht. Was zu vermuten gewesen ist, kann jetzt über eine breit angelegte Fragebogenaktion als eine gesicherte Erkenntnis für Wohneinrichtungen in der Behindertenhilfe angenommen werden. Mehr als die Hälfte der befragten Betreuungskräfte empfinden ihre Tätigkeit als belastend. Knapp 40% schätzen ihren Gesundheitszustand negativ ein. Über 80 % der Befragten geben an, mindestens einmal krank zur Arbeit gegangen zu sein, fast 50 % befürchten ein Burnout in der näheren Zukunft. Knapp 40 % sind der Ansicht, dass sich die Betreuungsqualität negativ auf die Gesundheit bzw. das Wohlbefinden der Bewohner auswirkt. „Das passt genau zu den Erfahrungen, die ich tagtäglich als Betriebsrätin in meiner Einrichtung sammle“, war eine der Wortmeldungen in den Arbeitsgruppen. Intensiv wurde sich darüber ausgetauscht, wie KollegInnen unterstützt werden können, beispielsweise bei der Formulierung von Gefährdungsmeldungen.

 

Hauptinhalte des Bundesteilhabegesetzes und mögliche Konsequenzen für betriebliche Interessenvertretungen standen im Mittelpunkt des zweiten Tages. Mit der Anerkennung der UN-Behindertenrechtskonvention hat sich die BRD 2009 verpflichtet, allen Menschen mit Behinderung ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Prof. Franz Josef Düwell formulierte als einen Kernsatz, dass Inklusion mehr als Integration ist. Einrichtungsträger müssen zukünftig viel stärker und konsequenter als bisher Leistungen anbieten, die auf die Bedürfnisse jedes einzelnen Menschen mit Unterstützungsbedarf zugeschnitten sind. Gleichzeitig haben sich Interessenvertretungen auf völlig neue Herausforderungen einzustellen, beispielsweise in ihren Mitbestimmungsrechten bei der Arbeitszeitgestaltung. Wie können Arbeitszeitmodelle auf die individuellen Bedürfnisse der Menschen mit Behinderung so zugeschnitten werden, dass professionelle Assistenzleistung nicht auf Kosten der Gesundheit des Personals geht? Was kann effektiv gegen die zu erwartende – weitere - Zunahme von prekären Arbeitsverhältnissen, unter anderem in Form von befristeten Arbeitsverträgen unternommen werden?

 

Zum Ende der Tagung wurde einstimmig eine Solidaritätserklärung für die in einigen Bundesländern streikenden Kolleginnen und Kollegen in den Kliniken verabschiedet, die für mehr Personal und bessere Arbeitsbedingungen kämpfen.

 

Indirekte Steuerung führt zu psychischen Belastungen

 

Warum KollegInnen Regelungen zum Gesundheitsschutz unterlaufen

 

 

 

Wer hat es noch nicht beobachtet, bei anderen oder auch bei sich selbst: Selbstgefährdendes Verhalten wie krank zur Arbeit zu gehen wird trotz gutgemeinter Empfehlungen von KollegInnen verteidigt.

 

Dr. Klaus Peters vom Institut „cogito“ in Köln beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit den (Hinter-) Gründen dieses „merkwürdigen“ Verhaltens. Seine zentrale These: In den Unternehmen geht es heute darum, die Leistungsdynamik von Selbständigen und Freiberuflern bei unselbständig Beschäftigten hervorzurufen. Der Freiberufler arbeitet im Zweifel rund um die Uhr; er hat oft nur wenige oder gar keine Freiräume; er nimmt im Zweifel keine Rücksicht auf seine Gesundheit. Hinter ihm, so beschreibt er es bildlich, ist das Krokodil her!

 

Dieses Organisationsprinzip nennt er „Indirekte Steuerung“ und seine zentrale Aussage lautet: Dieses Organisationsmodell hat die direkte Steuerung als Führungsmodell abgelöst, was nicht notwendigerweise eine bewusste Unternehmensentscheidung sein muss. Jeder könne für seinen eigenen Arbeitsplatz überprüfen, ob direkte („Kommandosystem“) oder indirekte („Krokodilsmodell“) Steuerung vorliegt: Genügt es beispielsweise, sich auf die fachliche Seite der Arbeit zu konzentrieren? Oder sind gleichzeitig betriebswirtschaftliche Aspekte, z. B. Budgetvorgaben im Blick zu behalten?

 

Die neue Form der Leistungsbemessung, dass Erfolg an die Stelle von Leistung tritt, kann für jeden Einzelnen schwerwiegende Konsequenzen haben: Er erlebt Ungerechtigkeitserfahrungen, wenn der Erfolg ausbleibt, obwohl die Leistung gestimmt hat; er fühlt sich innerlich zerrissen, weil Konflikte, die er früher mit jemand anders hatte, er nun mit sich selbst hat („Wissen, das für mich gut ist, aber tun, was für mich schlecht ist“).

 

Worauf es ankommt? Die Folgen der indirekten Steuerung gilt es als gemeinsames Problem zu erkennen und nicht als individuelles Scheitern zu begreifen. Dafür sind Diskussions-Räume zu schaffen, in denen angstfrei miteinander umgegangen werden kann.

 

Betriebliche

Gesundheitsförderung

Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser

 

Heute arbeiten viele Beschäftigte „von selbst“ weit über das gesunde Maß und die tariflich vereinbarten Zeiten hinaus. Es scheint ein Fortschritt zu sein, Ziele und Arbeitstempo selbst festlegen zu können, Arbeitszeiten flexibel gestalten zu

können. Aber was treibt uns wirklich dazu an, und wie setzten wir dabei

Grenzen?

Identifikation mit der Arbeit motiviert den Einzelnen und verbessert das Ergebnis der

Gesamtorganisation. Die Möglichkeit, Arbeitsinhalte mitzugestalten, setzt Kreativität frei. Dem eigenen Tun einen Sinn zu geben und darauf Einfluss nehmen zu können, beugt arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge burn-out und Erschöpfung vor. Gleichzeitig nehmen psychische Belastungen zu, ebenso Verantwortungsdruck und Terminhetze.

Was passiert in der Arbeitswelt, was führt dazu, dass gleichzeitig mehr Freiheit

UND mehr Druck entsteht?

Mit dem Konzept der indirekten Steuerung hat Klaus Peters vom Cogito-Institut in Berlin ein Modell entworfen, das diesen Widerspruch erklärt. Er geht dabei davon aus,

dass auch der abhängig Beschäftigte zunehmend der Leistungsdynamik von Selbständigen und Freiberuflern unterworfen wird. Wer Ziele (scheinbar) mitbestimmt, macht eher Überstunden, kommt vielleicht krank zur Arbeit, gefährdet seine Gesundheit. Ein neues Organisationsprinzip, das der indirekten Steuerung, verschleiert die „alte“ Befehl-und Gehorsam-Kette, macht den Angestellten zum Unternehmer – und im Extremfall den Betriebsrat zum Gegner, der lästiger Weise auf Arbeitszeitgesetze und ähnlichen Unfug hinweist. Ein zusätzlicher Antreiber ist die Sorge, dass bei wirtschaftlichem Misserfolg die eigene Abteilung geschlossen wird.

Dieser Mechanismus hat schon lange und politisch gewollt Einzug gehalten auch in den sozialen Organisationen. Auch in der Lebenshilfe Gießen wird zunehmend

wirtschaftlicher Druck durch alle Hierarchieebenen hindurch aufgebaut. Der Arbeitsdruck steigt, die Bereitschaft, über die eigenen gesundheitlichen Grenzen zu gehen ebenso, und auch die Langzeiterkrankungen nehmen zu.

Was passiert da, wie damit umgehen? – Um zu diesen Fragen in die Diskussion zu

kommen, hat der Betriebsrat Klaus Peters zu einer Betriebsversammlung am 16.5.

als Referenten eingeladen. Parallel dazu findet eine 3-tägige AKAB-Betriebsräte-Schulung mit Klaus Peters und Kollegen des Cogito-Instituts statt. Ziel ist es, neben der Analyse der Veränderungen in der Arbeitswelt Strategien zu entwickeln, wie Betriebsräte und Beschäftigte damit umgehen können.